Die Soloselbstständige Janine Fränzel ist 34, lebt und arbeitet in Berlin-Karlshorst. Sie hat einen Master-Abschluss in Kunstgeschichte, war für ein Agrar-Start-up im Bereich Online-Marketing tätig und begann bereits als junges Mädchen mit dem Nähen. Damals waren es Barbie-Kleider, heute näht sie Baby-Kleidung aus beschädigten Wollpullis. Mit ihrer Idee schenkt sie kaputten Kleidungsstücken ein neues Leben. Das Interesse für Upcycling entwickelte sie während ihrer Studienzeit; damals verwandelte sie antike Bücher in Handtaschen. Generell faszinieren sie alte Dinge und somit erwuchs wohl auch der Wunsch und die Idee, diese so lange wie möglich im Kreislauf der Nutzbarkeit zu erhalten. In ihrem Fall sind es Wollpullover.
Vor knapp einem Jahr riskierte sie dann den Sprung in die Selbstständigkeit, nachdem sie am ersten Arbeitstag nach der Elternzeit gekündigt wurde. Es war ein Schock, von dem sie sich erst einmal erholen musste. Als sie ihre Energie zurückgewann, kam sie wieder ins Handeln und richtete ihren Blick nach vorn. Wenig später gründete sie ihr eigenes Label Jawoll Baby und fertigt seitdem hauptberuflich nachhaltige Mode für Babys und Kinder aus geretteten Wollpullovern. Im Interview gewährt sie uns spannende Insights in ihr Nachhaltigkeits-Business, ihre Anfänge, Learnings, Konzept und Positionierung der Marke.
Wolle eignet sich hervorragend für Babykleidung
Ulrich Kommunikation: Wie kam es zur Gründung der Marke Jawoll Baby und welches Konzept steckt dahinter?
Janine Fränzel: Die erste Upcycling-Wollhose habe ich aus einem alten Pullover meiner Mama für meine Tochter genäht. Kurz darauf fand ich noch einen kaputten Pullover vor einer Kleidertonne, aus dem wieder etwas Neues entstanden ist. Da ich schon immer nähe, wuchs daraus die leise Idee, dies öfter zu machen. Gleichzeitig habe ich den Textilhafen kennengelernt. Das ist die zentrale Sammelstelle der Berliner Stadtmission. Von den vielen Kleidungsstücken, die dahin gespendet werden, sind auch einige bereits beschädigt und können nicht mehr an Bedürftige weitergegeben werden. Vom Materialpool des Textilhafens kaufe ich beschädigte Pullover auf und refinanziere so das soziale Projekt. Normalerweise werden kaputte Textilien nur geschreddert und damit downgecycelt. Ich mache das Gegenteil: Upcycling!
So rette ich kaputte Wollpullover und schenke ihnen ein neues Leben als Babykleidung. Denn das nachhaltigste Produkt ist das, wofür keine neuen Ressourcen benötigt werden. Und dabei sind die Pullover sooo wunderbar weich und mit all den tollen Eigenschaften von Wolle, dass sie ideal für Babykleidung sind.
Finanzielle Unsicherheit ist für Selbstständige das Schwierigste
Ulrich Kommunikation: Erzähle uns gerne mehr über deine Anfänge als Soloselbstständige: Welche positiven und negativen Erfahrungen hast du gemacht und welche Dinge bzw. Entscheidungen sind dir besonders schwergefallen?
Janine Fränzel: Tief im Inneren war es schon immer mein Wunsch, mich selbständig zu machen. Da musste aber vielleicht der Ruck von außen kommen: Direkt am ersten Tag nach meiner Elternzeit wurde ich von meinem Arbeitgeber gekündigt. Eigentlich wollte ich neben dem Beruf ein Business aufbauen, doch so habe ich die Zeit genutzt, um ein Gründungsseminar vom ZGS („Coaching vor der Gründung“) zu machen und mit Expert*innen die ersten Schritte Richtung Gründung vorzubereiten. Ich habe einen Businessplan geschrieben, einen Instagram-Account aufgebaut und generell die Marke definiert. Im März 2021 habe ich dann Jawoll Baby gegründet.
Ich hatte am Anfang keine großen Ausgaben. Eine Overlock-Maschine und ein Arbeitsplatz waren bereits vorhanden, sodass ich keine großen Investitionen tätigen musste. Für die ersten sechs Monate hat mir der Gründungszuschuss sehr geholfen, den man beim Arbeitsamt beantragen kann. Dies ist nämlich das Einzige, was für mich an der Selbstständigkeit negativ ist: Die finanzielle Unsicherheit, vor allem am Anfang. Ich genieße es, meine eigene Chefin zu sein. Und obwohl ich komplett eigenständig arbeite, fehlt es nie an Austausch: Ich bin mit anderen jungen Gründerinnen gut vernetzt, habe auf Instagram einen wunderbaren Austausch und gebe in Zukunft Upcycling-Kurse in kleinen Eltern-Baby-Gruppen.
Wolle und Upcycling – zwei Themen, die viel Aufklärungsarbeit benötigen
Ulrich Kommunikation: Aus meiner Sicht steht Jawoll Baby für Werte wie Nachhaltigkeit, Natürlichkeit und Genderneutralität – wie kommt das bei deinen Kunden an und wie groß ist die Resonanz, nach dem du im März dieses Jahres mit deinem Angebot gestartet bist?
Janine Fränzel: Ich denke eine klare Positionierung ist unglaublich wichtig. Welche Werte habe ich und wie vertrete ich diese? Immer wieder gehe ich auf diese Themen aus verschiedenen Blickwinkeln ein. Ich versuche zum Beispiel, auf Missstände in der Textilindustrie aufmerksam zu machen, ohne dabei dogmatisch zu sein. Eher möchte ich meinen Kund*innen Tipps und Alternativen geben, um eben den Gewohnheiten zu entkommen. Auch das Material Wolle oder Upcycling generell braucht noch viel Aufklärungsarbeit, die ich gerne leiste. Ich denke diese Mischung aus „Verkaufen“ und „Inspirieren“ kommt bei Kund*innen gut an.
Bei steigender Nachfrage Kooperation mit Arbeitsamt möglich
Ulrich Kommunikation: Immer Menschen leben nachhaltig und verabscheuen die herkömmliche, oftmals billige Produktion von Kleidung. Einige sind deswegen auch bereit, mehr Geld für nachhaltige Mode auszugeben. Wie bist du aufgestellt, wenn du plötzlich mehr Nähaufträge erhältst als du allein bewältigen kannst?
Janine Fränzel: Das wäre genau das Szenario, wie ich es mir für die Zukunft wünschen würde. Gerne möchte ich mit Jawoll Baby wachsen. Noch habe ich die Kapazitäten, es alleine zu bewältigen. Ich habe einen genauen Punkt definiert, an dem Unterstützung nötig wird. Gerne möchte ich in Kooperation mit dem Arbeitsamt beispielweise langzeitarbeitslose oder geflüchtete Menschen den (Wieder-)einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen und gleichzeitig mit Ihnen Jawoll Baby größer werden lassen.
Zusammenarbeit mit Influencern ist sehr bereichernd
Ulrich Kommunikation: Viele Soloselbstständige haben Probleme damit, Aufträge zu generieren. Wie akquirierst du und was sind deine Marketingpläne für die nächsten fünf Jahre?
Janine Fränzel: Bei mir sind es eher Käufe als Aufträge. Die meisten meiner Kund*innen kommen aktuell von Instagram, welches meine Haupt-Marketingplattform ist. Dort bin ich in Storys, Reels und Beitragstexten in meinem Element. Auch die Zusammenarbeit mit Influencerinnen (eher Accounts bis max. 50k Followern) finde ich sehr bereichernd. Außerdem strecke ich überall meine Fühler aus: Presse, Märkte, Pop-Up-Stores usw. Gerade am Anfang lohnt es sich und macht Spaß, alles mal für sich auszuprobieren. Einen 5-Jahresplan habe ich ehrlich gesagt nicht, vor allem nicht spezifisch für das Marketing. Aber ich weiß, dass ich Jawoll Baby langfristig und gleichzeitig nachhaltig wachsen lassen möchte und wie so ein Wachstum aussehen könnte. Ich wünsche mir, dass ich noch viele Wollpullis retten kann und weiterhin das tue, was mich erfüllt.